Das „48h Live Stream“-Experiment in der Retrospektive
Am 14. Oktober 2016 startete der wahnwitzige Versuch, ununterbrochen 48h Stunden am Stück auf Twitch zu streamen und dabei kontinuierlich Indie Games zu spielen. Ziel dabei ist gewesen, neben dem Selbstversuch zur Auslotung der eigenen Grenzen, Spenden für einen neuen Laptop zu sammeln. Ob das Experiment geglückt ist, wie viele Spendengelder zusammen gekommen sind und welche Emotionen ich in den zwei Tagen und danach erlebt habe, werde ich in diesem Artikel erläutern.
Die Vorbereitung
Die irre Idee zum Experiment entstand eine Woche vor Start des Streams und die Vorbereitung bestand hauptsächlich darin, geeignete Spiele zu finden, welche auf meinem Laptop während dem Streamen flüssig laufen würden. Dazu suchte ich mir Spiele heraus, die ich schon lange einmal wieder spielen wollte oder nie dazu gekommen bin.
Als Software hatte ich mir den XSplit Gamecaster ausgesucht, welcher zwar limitiert ist in seinen Möglichkeiten, aber dank einer benutzerfreundlichen Oberfläche genau meinen Bedürfnissen entsprach. Am Tag des Streames galt es, solange wie möglich auszuschlafen und noch genügend Essensvorrat für die nächsten zwei Tage anzuschaffen. In der Praxis entsprach dies eher vier Tagen, da zwei Nächte, die normalerweise schlafend verbracht werden, wegfielen.
Der Anfang
Es war soweit, in wenigen Minuten würde der Stream starten und ich war bis Sonntag Abend auf meinem Stuhl vor dem Laptop gefangen. Irgendwie hatte es auch etwas beruhigendes, denn ich hatte eine Ausrede sämtliche anderen Tätigkeiten oder Aufgaben auszublenden, da der Stream mich komplett vereinnahmen würde.
Als idealer Einstieg hatte ich The Beginner’s Guide von Davey Wreden gewählt, der unter anderem an The Stanley Parable mitgearbeitet hatte. Weiter ging es mit einer Runde Tumblestone gegen einen Zuschauer, wo ich aufgrund des Lags jedoch keine Chance hatte zu gewinnen, aber dennoch sehr viel Spass machte. Danach folgte eine Weltpremiere mit der PC Beta von Ellipsis des deutschen Studios Salmi Games. Anschliessend ging es in gemütlichem Tempo weiter mit der ersten Episode von The Lion’s Song. Das Tempo an wechselnden Spielen hatte ich zu Beginn absichtlich hoch gewählt, um die Zuschauer bei Stange zu halten. Nach The Lion’s Song wurden alle drei Episoden von Knee Deep am Stück durchgespielt, was bis tief in die Nacht dauerte.
Die Mitte
Je länger die Nacht voran schritt, desto weniger Zuschauer verfolgten den Stream, bis ich schliesslich komplett alleine war. Hin und wieder tauchte eine verlorene Seele auf, aber bis zum Ende sollte ich mehrheitlich alleine im Stream sein. Nach dem grandiosem Anfang mit allerlei Interaktion mit den Zuschauern, machte sich Ernüchterung breit und die eigene Stimmung sank enorm. Frustration machte sich breit. Diese war stellenweise sogar so stark, dass ich mit dem Gedanken spielte indiegames.ch kurzum aufzugeben. Selbstverständlich habe ich dies nicht getan.
Wann immer ein neuer Zuschauer den Stream betrat, begrüsste ich diesen und fing an das Gameplay zu kommentieren, aber nie kam eine Reaktion im Chat, trotz der Aufforderung dazu. Mit der Zeit war ich nicht mehr sicher, ob dies echte Menschen waren oder Bots, weswegen ich es irgendwann komplett unterliess auf diese zu reagieren. Zusätzlich war ich durch den Fakt verunsichert, dass wenn ich etwas sagte die Leute schneller wieder abhauten, als wenn ich komplett still blieb.
Ich verschob den Fokus vom Unterhalten der Zuschauer zum persönlichen Ziel die 48 Stunden durchziehen zu können. Nach Knee Deep begann ich mit The Banner Saga und als dieses durchgespielt war, ging es direkt mit The Banner Saga 2 weiter. diese zwei Spiele nahmen ungefähr zwanzig Stunden in Anspruch und stellten damit die Mehrheit des Streames dar. Für Zuschauer musste es sehr langweilig sein, aber bis auf die vielen Texte zum Lesen war das Spiel optimal für einen Marathon, da das Tempo gemütlich war und von mir nicht all zu viel Interaktivität verlangt wurde.
Nach 28h streamen war es soweit, The Banner Saga 2 war überraschend schneller beendet worden, als erwartet und ich wusste zunächst nicht, was ich als nächstes spielen sollte. Ich versuchte es zuerst mit dem Brawler Foul Play, aber das hektische Gameplay ging zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr und strapazierte meine Nerven zu sehr. Eine halbstündige Pause wurde gemacht und dazu verwendet, die nächsten Spiele zu beschliessen. Sie mussten ruhig sein und nicht zu fordernd für das Gehirn. Ich beschloss zunächst das von mir vernachlässigte The Fall zu spielen und anschliessend mit Samorost 3 weiter zu fahren.
Bei der 24h-Marke war ich bereits sehr müde gewesen, doch ab nun erlaubte ich mir eine erhöhte Koffein-Zufuhr. Bis dahin hatte ich zwei Espressi gehabt, bis zum Ende des Streames kamen fünf weitere hinzu. Nach rund 35h Stunden setzten eine überraschende Phase der Euphorie ein und durchströmte meinen Körper mit neuer Energie. Dies rührte neben dem Koffein und dem Schlafmangel auch vom fantastischen Samorost 3, welches absolut grossartig war und mich mit seinem musikalischen Fokus komplett weggeblasen hatte. Ich fing während dem Spiel sogar spontan an zu tanzen. Ich fühlte mich schwerelos und top fit.
Das Ende
Als auch Samorost 3 zu meinem bedauern vorüber war, ging es zum letzten Spiel über mit einem weiteren Point’n’Click Abenteuer namens The Silent Age. Die 40h-Marke war nun bereits überschritten und ich hatte erheblich Mühe, mich wachzuhalten. Alle 45 Minuten legte ich nun eine viertelstündige Pause ein, um mir ein wenig die Beine zu vertreten und den Kreislauf mit kurzen Übungen in Schwung zu bringen.
Bei The Silent Age geschah es vermehrt, dass ich für wenige Sekunden einschlief. Ausserdem konnte ich der Geschichte immer weniger folgen und es fiel mir sehr schwer, mich zu konzentrieren. Ein anderer kritischer Punkt war die, durch den Schlafmangel spürbare, Kälte. Ich hatte bereits vier Schichten Kleider inklusive Jacke an, aber die Kälte hatte sich bis tief in die Knochen eingegraben und wurde zunehmend unangenehmer.
Nach 43.5h war es soweit und ich beschloss das Experiment abzubrechen. Die Nebeneffekte wurden mir zu krass und ich fing leicht an Panik zu schieben. Zur Kälte gesellte sich zusätzlich Herzrasen und ab und zu Herzstechen, was definitiv sehr beunruhigend war. Ich legte mich mitsamt aller Kleider ins Bett, um mich aufzuwärmen und riss wenige Minuten später die meisten vom Leib, da ich das Gefühl hatte zu brennen.
Hätten sich Zuschauer im Stream befunden, hätte ich die 48h wahrscheinlich durchgezogen, aber zu diesem Zeitpunkt machte es ohne mentale Unterstützung keinen Sinn mehr für mich. Niemand würde bemerken, ob ich jetzt die 48h knacke oder nicht, es spielte schlicht keine Rolle. Wieder erwarten schlief ich danach nur zehn Stunden, aber der Schlafmangel war noch knapp eine Woche lang spürbar und führte zu einer schweren depressiven Phase. Die Aufzeichnungen des Streams sind zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr verfügbar, da Twitch diese nach 14-Tagen löscht.
Abschliessend noch ein paar Fakten zum Experiment:
- Durchgespielt: The Beginner’s Guide, Ellipsis, The Lion’s Song, Knee Deep, The Banner Saga, The Banner Saga 2, The Fall, Samorost 3 und The Silent Age bis zur Hälfte.
- Bluescreens aufgrund Überhitzung der Grafikkarte: 4 Stück nach 3.5h, 8h, 31.5h und 39.5h
- Zuschauer insgesamt: 235
- Gestreamte Stunden: 43.5
- Getrunkene Kaffees: 7
- Erhaltene Spenden: 0
No Comment