Emily is Away Too im Test
Emily is Away hat mich 2015 zurück in meine Teenager Jahre geschmissen. MSN & ICQ waren damals ein riesiger Bestandteil meiner Freizeit. Stundenlang habe ich damit verbracht mit Freunden zu chatten, Romanzen zu pflegen und neue Freundschaften zu schliessen. Das Spiel richtete sich an die verlorene Liebe und zeigte genau auf, was ich damals nicht im Stande war zu sagen. Stattdessen löschte unser Charakter die richtigen Worte und began mit belanglosem Small Talk.
Obwohl ich mit Text Adventures eigentlich nicht viel anfangen kann, hatte mich das kostenlose Emily is Away vollständig in seinen Bann gezogen. Zwei Jahre später liegt nun das Sequel zum Überraschungserfolg vor uns, ob es den immensen Erwartungen gerecht werden kann?
YouToob & Facenook
Im Gegensatz zum ersten Teil ist der Nachfolger nicht mehr kostenlos, sondern kostet knapp 5 Euro. Bei einer Spiellänge des Erstlings von rund dreissig Minuten schürte dies die Erwartungen gleich nochmals. Zeitlich springen wir ein paar Jahre vorwärts und finden uns in der Mitte der 2000er Jahre wieder. Auch die Charaktere sind in der Zwischenzeit gealtert und befinden sich auf der Schwelle zum Start ins Studentenleben. Die namensgebende Emily darf natürlich nicht fehlen, aber zusätzlich können wir uns dieses Mal noch mit einer weiteren Person unterhalten, deren Namen ebenfalls bereits aus dem Vorgänger bekannt ist.
Am Umfang hat sich einiges getan. Ein erster Durchgang dauert ungefähr zwei Stunden, wobei multiple Enden und unzählige Easter Eggs für einen hohen Wiederspielwert sorgen. Neu rufen wir aus dem Spiel heraus „echte“ Webseiten auf. Diese wurden aus namensrechtlichen Gründen in zum Beispiel YouToob oder Facenook umbenannt, sind jedoch im zu damaligen Zeiten aktuellen Design dargestellt.
Diese clevere Verwendung von Youtube sorgt dafür, dass Emily is Away Too einen der besten Soundtracks aller Zeiten beinhaltet. Immer wieder bekommt ihr Links zu Wiedergabelisten zugeschickt, selbstverständlich Klassiker der damaligen Zeit, wodurch eine ungeheure Immersion entsteht. Die Interaktionsmöglichkeiten sämtlicher Webseiten sind stark begrenzt und teilweise praktisch nicht vorhanden, tut aber dem Spiel keinen Abbruch, da ihr eh stets mit dem Schreiben von Nachrichten beschäftigt seid. Teilweise geschieht dies sogar unter Zeitdruck, aber wir wollen hier nicht zu viel verraten.
Verliebt
Die vierte Wand wird hier nicht nur gebrochen, sie löst sich mehr und mehr auf. Selbst Dateien senden euch die Charaktere ab und zu, die übers Internet heruntergeladen werden und sich danach auf eurem Desktop befinden. Bereits nach kurzer Zeit war Emily is Away Too kein Spiel mehr; es fühlte sich echt an und löste Emotionen in mir aus, die ich bisher noch bei keinem Videospiel erlebt hatte.
Während unser Charakter im ersten Teil die richtigen Worte nie sagen konnte, kommt dies hier nur zu Beginn vor und es findet ein perfekter Übergang statt. Während die erste Reaktion zunächst im Sinne von „das hast du jetzt wirklich abgeschickt“ war, ging es über zu „bitte schick die Worte so nicht ab“ und schlussendlich war es klar, die Worte würden stehen bleiben und es liegt an mir, die Enter-Taste zu drücken. Ungelogen, ich war ab und zu verdammt nervös vor dem Abschicken einer Nachricht. Natürlich wusste ich im Hinterkopf, dass dies hier alles nicht real ist, was mein Gehirn nicht daran hinderte, Hormone wie blöde auszuschütten. Ich hatte einen kleinen Crush für Emily entwickelt, zumindest fühlte es sich genau so an.
Emily is Away Too wird für jeden eine andere Erfahrung bieten, aufgrund der vielen verschiedenen Pfade, doch ich war am Ende einfach nur glücklich. Ich muss zugeben, mir fällt kein anderes Spiel ein, welches jemals eine solch starke positive Emotion in mir ausgelöst hatte.
Emily is Away Too ist grossartig, wegweisend und unvergleichbar. Ich fordere hiermit aktiv auf, den Entwickler Kyle Seeley mit einem Kauf zu unterstützen, sodass wir einerseits mehr von ihm in Zukunft sehen können und andererseits ein Zeichen für mehr lebensnahe Spiele setzen, welche neben den negativen auch die positiven Gefühle abdecken.
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