Angeschaut: Lemma
Ein wenig Selbstreflexion ist nicht selten der erste Schritt, neues über sich selber zu lernen. Wenn ich meine Steam-Bibliothek durchschaue, dann merke ich, wie sehr mir Puzzle-Spiele gefallen. Die meisten haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind in der Egoperspektive und sie haben einen explorativen Charakter. Antichamber, Quantum Conundrum, A Story About My Uncle, Qbeh-1, Mind: Path To Thalamus und selbstverständlich der Initiant dieser neuen Ära von Egopuzzlern, die Portal-Reihe, sie alle sind in meiner Sammlung zu finden. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass Lemma mich auf Anhieb interessierte.
Von Mirror’s Edge zu Minecraft
Nebst dieser einen Facette bezieht Lemma auch von anderen Spielen Inspiration. Immer häufiger wird an der elementaren Fortbewegungsmethode unseres Hauptcharakters gewerkelt. Mirror’s Edge machte es vor Jahren bereits vor und Parkour hat sich mittlerweile an prominenten Orten etabliert. Doch auch Indies scheuen nicht davor zurück, den gesamten Körper in die Lokomotion miteinzubeziehen. Wir springen und rollen, klettern oder laufen an Wänden und generell sind uns kaum Grenzen gesetzt, wie wir Lemmas Welt erforschen können.
Minecrafts Voxelästhetik hat schon lange Kultcharakter und nicht wenige Spiele verwenden Hexaeder als Hauptelement, um ihre Welt aufzubauen. Dennoch vermag es Lemma, sich davon abzuheben, da die uns präsentierten schwebenden Levels mit realistischen Steintexturen versehen sind. Dies verhilft dem Spiel, eine gewisse kognitive Dissonanz im Spieler hervorzurufen. Wir wissen, dass natürliche Gesteinsformationen nicht diesen strikten geometrischen Regeln nachgehen, dennoch will uns glaubhaft gemacht werden, dass wir uns in einem augenscheinlich realen Ort befinden.
Ein Quäntchen Physik
Und tatsächlich ist dies nicht die echte Welt. Früh wird uns erklärt, dass wir uns in einer anderen Dimension befinden. Es ist nicht sofort klar, ob es sich hierbei um ein tatsächlich physisches Konstrukt handelt oder einer reinen Virtualisierung. Nach und nach werden wir, sowohl über unser Mobiltelefon, als auch durch in den Leveln zurückgelassenen Dokumente, darüber informiert, dass hinter den abstrakten Landschaften die wunderbare Welt der Quantenphysik steckt.
Ich bin zwar nicht schlau genug, um qualifizierten Aussagen darüber treffen zu können, ob sich die uns präsentierten Konzepte mit der Realität überschneiden, allerdings kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass sich die wenigsten Entwickler an eine für Laien solch unzugängliche Thematik heranwagen. Dafür erntet Lemma meinen Respekt. Viel zu selten trauen sich Entwickler, uns mit Situationen und Geschehnissen zu konfrontieren, die ein Teil des Publikums nicht verstehen wird. Doch nur durch diese Experimentierfreude schaffen wir es, unseren Horizont zu erweitern.
Creatio ex nihilo
Während unserer Reisen durch die kubischen Traumwelten werden wir mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Oftmals sind die schwebenden Gesteinsbrocken zu weit voneinander entfernt, um einfach dazwischen herumzuspringen. In anderen Fällen fehlen uns gewisse Stücke in Wänden oder Böden, um Puzzles zu lösen damit Energie von einem Generator zu einem davon betriebenen Objekt gelangt. Da wir uns aber in einer anderen Dimension befinden, bekommen wir selbstverständlich auch ein wenig Unterstützung, um diese Probleme zu meistern.
Auch wenn es allem zuwider läuft, was uns als Kind bereits eingebläut wurde, verlangt Lemma, dass wir uns gnadenlos und in höchstem Tempo auf einen Abgrund zubewegen und eine Rolle machen. Siehe da, es materialisiert sich ein Boden unter uns, wo vorher keiner war. Wir rennen auf eine Säule zu und beginnen an ihr seitwärts hochzulaufen. Auch hier entsteht aus dem nichts eine Wand, an welcher wir entlang sprinten. Lemma bietet uns die Möglichkeit, durch unsere Bewegungen Einfluss auf die Gestaltung seiner Welt zu nehmen. Dies führt zu ungeahnt komplexem Leveldesign, dass keine einzelne, richtige Lösung kennt. Es gibt immer mehrere Ansätze, wie Hindernisse überwunden werden können und fordert die Kreativität des Spielers, wie er von Punkt A nach Punkt B gelangt.
Sechsseitiger Albtraum
Dementsprechend sind die Lösungen für die Puzzles nicht immer direkt offensichtlich. Speziell wenn wir währenddessen durch die Anwesenheit von Gegnern unter Druck gesetzt werden. Ihr habt richtig gelesen, ein Puzzlespiel, in welchem wir auf Gegner treffen und keine Form von Selbstverteidigung besitzen. Die Gegner kommen ebenfalls in Würfelform daher und sind sehr mobil. Sollten wir ihre Aufmerksamkeit erregt haben – was wir unweigerlich tun – werden wir von ihnen unerbittlich durch die Level gejagt.
Die Präsenz der Gegner stellt den einzigen wirklich negativen Punkt dar, der mir bei Lemma aufgefallen ist. Da sich die Gegner konstant bewegen und uns kaum eine Möglichkeit gelassen wird, sie effektiv zu umgehen, bieten einige Levels unnötiges Frustpotential und wir werden im schlimmsten Fall daran gehindert, die interessanten Levels weiter auszukundschaften.
Fazit
Lemma ist das Resultat von fast fünf Jahren harter Arbeit eines Einzelkämpfers, was leicht an der teilweisen Ungeschliffenheit bemerkbar ist. Die Parkour-Mechanik verfügt zum Beispiel über unglaublich grosse Toleranzen, was ihr ein wenig die Herausforderung nimmt. Unsere Charakterbewegung ist ebenfalls nicht so flüssig, wie wir es aus anderen Spielen aus der Egoperspektive gewohnt sind.
Nichtsdestotrotz ist Lemma absolutes Pflichtprogramm für jeden, der mit Egopuzzlern etwas anfangen kann. Selten wird dem Spieler bei der Lösung von Puzzles so viel Freiheit gegeben. Als Kirsche auf dem Sahnehäubchen wagt sich das Spiel an eine hoch komplexe wissenschaftliche Thematik, um der surrealen Spielewelt eine gewisse Erdung zu geben.
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