Angeschaut: Life Is Strange Ep. 5 – Polarized
Die Erwartungen an die fünfte und letzte Episode von DONTNOD Entertainments Life Is Strange waren gigantisch. Viele Spieler blieben wach bis zur hierzulande um zwei Uhr morgens stattfindenden Veröffentlichung. Ein wenig Angst schwang mit, die Geschichte war mittlerweile zu gross, zu komplex. Seit dem Finale der TV-Serie Lost sind wir wohl alle vorsichtiger geworden, was antizipierte Enden einer gefeierten Serie mit Mystery-Elementen angeht. Kann das Finale diesen utopischen Erwartungen gerecht werden?
Wenn ihr geglaubt habt, die Serie kann nach der niederschmetternden vierten Episode nicht mehr düsterer werden, dann habt ihr euch geirrt. DONTNOD startet das Finale, wo wir Max zuletzt verlassen hatten und spielt diese Szene unangenehm lange aus. Baut sich in der Folge ein kleiner Lichtschimmer auf, so wird dieser mit brachialer Gewalt Sekunden später von der Dunkelheit verschlungen, im Keim erstickt und alle Hoffnung auf ein Wiederaufblitzen begraben. Dies geht soweit, dass ich bei einer Passage regelrecht Terror verspürte, welcher durch seine emotionale Wucht so manches Horrorspiel in den Schatten stellt.
In seinem zwei bis drei Stunden Spielzeit legt die Episode ein rasantes Tempo mit vielen verschiedenen Schauplätzen vor, scheut sich aber auch nicht davor, gewisse Szenen auszuspielen. Wo wir gleich beim Spielen sind, die Gameplay Passagen sind mittlerweile nahtlos in die Geschichte eingewoben. Faux pas, wie mit dem Flaschen Sammeln auf dem Schrottplatz, gibt es keine mehr. Auch mit individuellen Entscheidungen haben wir es weniger zu tun. Während die Geschichte auf temporaler Ebene komplett überbordet, ist sie für den Spieler an sich linearer geworden. Wenn wir jedoch mit Entscheidungen konfrontiert sind, stellen sich diese schwerer als jemals zuvor dar. Dies ging soweit, dass ich das Gamepad weglegte und zuerst minutenlang nachdachte, bevor ich den entscheidenden Knopf drückte.
Die Frage, die mich seit dem Beendigen der Episode am meisten beschäftigt: Hat es Life Is Strange geschafft mein Spiel des Jahres zu werden? Die hohen Erwartungen konnten stellenweise übertroffen werden, an anderer Stelle machte sich leichte Enttäuschung bereit. Diese kam aber daher, nicht wie bei den vorherigen Episoden, nochmals komplett überrascht zu werden. Wer unseren damaligen Podcast zu Life Is Strange angehört hat, sollte nun kurz zum nächsten Absatz springen, denn es folgt der einzige ansatzweise spoilerbehaftete Satz in diesem Angeschaut, welchen nur Leser mit dem gewissen Hintergrundwissen verstehen werden. Ich war enttäuscht darüber, dass wir das Ende der Serie bereits im Mai vorausgesehen hatten und den Entwicklern keine bessere Alternative zur Geschichte eingefallen war. Eine Enttäuschung, die sich trotzdem als befriedigend anfühlte.
Life Is Strange mag über die komplette Staffel nicht perfekt sein – ach was, vergesst den Satz. Life Is Strange ist genial, mag den Einen oder Anderen Mangel haben, aber ein Spiel, welches durch seine durchdachte, mit Zeitreisen gespickte, komplexe Geschichte über das Erwachsenwerden eines Mädchens zur jungen Frau Tausende von Spielern, in einem Zeitalter in dem kurzlebiges Vergnügen die Charts beherrscht, über zehn Monate zu fesseln und nicht zuletzt zu Tränen zu rühren vermag, hat kein anderes Prädikat verdient.
Durch seinen kommerziellen Erfolg zeigt es der Industrie, dass wir Spieler mehr als nur Spass und Schrecken wollen. Wir sind bereit zu leiden, durch Schönheit berührt zu werden und wollen Geschichten, die sich nicht in drei Sätzen erklären lassen. Es war bereits fünf Uhr Morgens, als ich tränenüberströmt den Abspann betrachtete, aber Schlafen liessen mich die Ereignisse der letzten zwei Stunden nicht. Danke DONTNOD Entertainment für dieses Juwel.
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