Angeschaut: Papers, please
November 1982, Grenzübergang von Arstotzka. Der namenlose Protagonist wird von einem kleinen Kuhdorf in die Hauptstadt versetzt, wo er von nun an die Rolle eines Zollbeamten übernehmen muss. Er soll eine „Lotterie“ gewonnen haben. Papers, please – ein dystopischer Thriller für Windows und Mac.
In der Arbeit liegt das Vergnügen
Lucas Pope hat auf Basis seiner, zweifellos weniger dramatischen, Migrationserfahrung Papers, please im Alleingang programmiert. Die Grafik wirkt im 8-Bit Stil zwar sehr einfach (mein NES hätte das vermutlich auch hingekriegt), aber absolut stimmig für das Thema.
Prinzipiell geht es um das Kontrollieren von Dokumenten, welche fast täglich mit neuen Auflagen ergänzt werden. Mal dürfen gewisse Länder nicht einreisen, dann braucht es Impfausweise oder Bürger des eigenen Landes können nur passieren, wenn sie ihren Pass abgeben.
Klingt alles sehr nüchtern und aufwendig – ist es, aber auch erstaunlich süchtig machend. Mittels Zeitdruck bildet sich eine erstaunlich plausible Simulation.
Im Verlaufe des Spiels können wir uns Tools verdienen, welche unsere Arbeit vereinfachen. Shortcuts für den Stempel oder ein Register beim Referenzbuch. Auch der, vor einiger Zeit medial aufgebauschte Nacktscanner, ist vorhanden, um bei Zweifel am Geschlecht des Antraggstellers Gewissheit zu schaffen. Ein rares humoristisches Element in einem Spiel, dass sich selbst nicht als Satire, sondern Immersionskunst versteht. Am Ende des Tages werden wir via Textprompt nüchtern darüber informiert, dass unsere Frau krank ist, dass Kind Geburtstag hat oder wir kein Geld für die Miete vorhanden ist. Je nach Leistung werden wir bezahlt und müssen das wenige Geld einteilen. Und Junge, es wird sehr schnell sehr knapp!
Moralische Bedenken
Selbst der nobelste Moralapostel kommt ins grübeln, ob er ein Bestechungsgeld annehmen soll oder nicht. Wollen wir wirklich einen Staat beschützen, der nichts für uns gemacht hat und uns finanziell ausbluten lässt? Es ist genau diese Geldnot, die uns immer wieder in die Bredouille bringt. Ein Mann passiert die Grenze, während seine Frau uns anfleht sie trotz der unvollständigen Papiere hereinzulassen, was uns eine Busse kosten würde. Kämpfen wir für das Rechte oder schlängeln wir uns durch? Helfen wir den mysteriösen Rebellen oder kuschen wir vor dem Regime? Wollen wir flüchten und dafür unsere kranke Frau zurücklassen? Und manchmal, während wir darüber grübeln, explodiert ein Selbstmordattentäter und beschert uns einen verfrühten, brotlosen Feierabend. Die Monotonie endet, je nach getroffenen Entscheidungen, früher oder später mit zwanzig verschiedenen Enden – nur wenige davon erfreulich.
Fazit
Als Mischung zwischen Kunst und Knobelspiel ist das Ganze also zweifellos erfolgreich. Als kleines Makel kann ich eigentlich nur die Grafik nennen, welche für mich teilweise die Erkennung auf „Fotos“ sehr schwierig machte. Hier merkt man ein wenig die limitierten Ressourcen des gewählten Stiles, aber gute Kunst resoniert beim Betrachter. Als ich vor ein paar Wochen in Berlin war, sass ich, mir durchaus der Ironie bewusst, in einem Starbucks nahe des Checkpoint Charlie, der nun zu nichts mehr, als einer Touristenattraktion verkommen ist. Daneben ein überfülltes, wenn auch interessantes, Museum. Im Innern vernahm ich das blecherne Brummen des Papers, Please Beamten:
„Der nächste Bitte“
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