Angeschaut: Her Story
Her Story von Sam Barlow ist ein Kaleidoskop menschlicher Emotionen. Die Glassplitter darin sind kurze Videos und als Betrachtungsrohr dient uns ein Computer der Neunziger. Willkommen am Rande des menschlichen Irrwitzes. Willkommen bei einem der grossartigsten Spiele des Jahres.
Das Interview
Bei diesem interaktiven Krimi spielen wir eine nicht näher benannte Person, welche aus (noch) unbekannten Gründen einen alten Fall aufrollt. Ein Mann wurde brutal ermordet und eine ihm nahestehende Frau gilt als Hauptverdächtige. Um die Schuldfrage endgültig zu klären, begeben wir uns vor einen alten Computer und betrachten die verschiedenen Befragungen der Dame.
Ein Wasserschaden hat sämtliche Akten und die Übersicht des Falls zunichte gemacht. Uns bleibt deshalb nichts anderes übrig, als die verbleibenden, kurzen Videos in wilder Reihenfolge zu untersuchen, um uns einen Reim darauf zu bilden.
Type M for Murder
Dies ist das einzige Spielelement; Man tippt einen Suchbegriff ein und der simulierte Oldschool-PC zeigt uns alle Videos, welche dieses Wort enthalten. Die Hauptdarstellerin (eine Offenbarung: Viva Seifert) erhält damit eine beeindruckende Bühne, uns mit ihrem kraftvollen, gefühlten und differenzierten Schauspiel zu betören. Es bleibt danach nichts anders übrig, als zu staunen, lachen, betroffen mitzufühlen und mit jedem Klick tiefer in ein Spinnennetz von Handlungssträngen zu geraten. Wenn man eine bestimmte Anzahl Videos gesehen hat, werden wir angefragt, ob wir wissen, wer der Mörder war. Ist die Antwort positiv, gibt es eine wichtige Info; aber keine Auflösung.
Memento
Ist es des Spiels genug, wenn man nur Begriffe eingibt und kurze Videosequenzen anschaut? Ich wage ein Ja, jedoch nur, wenn es so gut umgesetzt wird, wie bei Her Story. Die Art der Geschichte lässt mehrere Interpretationen zu und hat in genau dieser Form die optimale Ausdrucksweise gefunden. Denn es muss einen Grund geben, weshalb eine Erzählung in Videospielform gebracht wird. Die Puzzlestruktur ist hier nicht reiner Selbstzweck, sondern versinnbildlicht die Konfusion der Emotionen der Hauptdarstellerin; es erscheint, als sei unsere Verwirrtheit, auch die ihrige. Es ist ein unglaublich mysteriöses Spiel, das zum Mitraten einlädt. Notizen sind hier empfohlen, wenn nicht sogar obligatorisch, um für sich die Chronologie zu ordnen. Die sich immer erweiternde Liste der gesuchten Begriffe wird zum Abbild unserer Psyche und diese wird so individuell sein, wie ein Fingerabdruck auf einer Tatwaffe.
Fazit
Her Story ist ein Pflichttitel, dessen Erfahrung weit über die zwei Stunden Spielzeit hinausreicht. Ich garantiere, dass du Tage später noch daran zurückdenken wirst und das ganze Geschehen diskutieren willst.
Und wenn du einmal nicht weiterkommst, gib „Fuck“ ein. Ist ja nicht alles ernst im Leben.
No Comment