Angeschaut: Sunset
Tale of Tales ist bekannt für seine unkonventionellen Spiele, die durch ihren hohen künstlerischen Aspekt meist nur eine geringe Zielgruppe ansprechen. Umso erfreulicher war es, als die Kickstarter-Kampagne zu Sunset im letzten Juli zu über 250% finanziert wurde. Tale of Tales wagt mit Sunset eine andere Herangehensweise in das vielfach aufgegriffene Thema Krieg. Wir ballern uns hier nicht an vorderster Front durch Gegnernmassen und versuchen auch nicht in der Zerstörten Welt zu überleben, wie zum Beispiel im gelungenen This War Of Mine. Wir spielen eine vermeintlich unbeteiligte Haushaltsgehilfin und schlüpfen damit in die Rolle einer Aussenstehenden.
Lass uns Haus spielen
Südamerika, anfangs der 70er. Das Land ist politisch gespalten und Aufstände machen sich breit. Angela Burns, unsere Spielfigur, ist die neue Angestellte von Gabriel Ortéga. Jede Woche ist Angela für eine Stunde bis zum Sonnenuntergang im frisch gemieteten/gekauften Appartement anwesend und hat von Ortéga aufgetragene Arbeiten zu erledigen. Ortéga selber begegnet sie dabei nie.
Sunset weist allgemein ein sehr gemächliches Tempo auf, die aufgetragenen Aufgaben reichen meist nicht aus, die Zeit zu füllen und zu Beginn fangen wir mit dem Auspacken von Kartons und Kisten an, damit der Wohnung etwas mehr Leben eingehaucht wird. Wir können dabei stets entscheiden, ob wir eine Aufgabe mit Sorgfalt oder praktisch erledigen, wobei die sorgfältige Variante mehr Zeit in Anspruch nimmt. Glücklicherweise werden die Aufgaben nach dem Anklicken von alleine erledigt und wir müssen nicht Kisten oder ähnliches von A nach B transportieren. Die Aufgaben sind über die gesamte Spielzeit von rund fünf Stunden sehr abwechslungsreich und fangen nie an zu langweilen.
Kein Gone Home
Laut der Prämisse der Kickstarter-Kampagne nahm ich an, dass es sich bei Sunset um ein ähnliches Spiel wie Gone Home handeln wird und war zu Beginn relativ ernüchtert, dass nur wenige Gegenstände sich anklicken lassen. Angela gibt jedoch ab und zu ihre Gedanken zu einzelnen Gegenständen wieder, wenn wir sie betrachten; allerdings findet dies nur in schriftlicher Form statt. Sprachsamples gibt es jeweils am Anfang Tages, ab und zu auch zwischendurch.
Sunset entwickelt das Konzept von Gone Home ein Stück weiter und erlaubt die Kommunikation mit einer abwesenden Person. Mittels kurzen Notizen bauen wir nach und nach eine Bindung zu Ortéga auf und manche Gegenstände befinden sich bei den Besuchen an anderen Orten. Obwohl wir Ortéga nie sehen, lernen wir ihn durch seine Wohnung immer besser kennen und bei jedem Besuch durchforste ich die Wohnung nach neuen Notizen oder Arrangements von ihm auf.
Alltagsroutine
Der Schauplatz beschränkt sich ausschliesslich auf Ortégas Wohnung und meist sind einzelne Bereiche elektronisch abgeriegelt, sodass wir nicht überall herumschnüffeln. Die Geschichte kommt dabei sehr langsam in Fahrt und verkommt im Mittelteil absichtlich in der Alltagsroutine. Ich beginne mich zu langweilen, was von den Entwicklern aber absolut so gedacht war.
Die Revolution in der Stadt nimmt immer grössere Ausmasse an, wobei ich mich als Angela in der Wohnung in Sicherheit wiege. Ab und zu sind Schüsse und Tumulte von draussen zu hören, aber generell ist es in der Wohnung ruhig und nur die eigenen Schritte sind zu hören, ausser wir legen ein wenig Musik auf. Umso verstörender sind die einzelnen Momenten, in denen diese Ruhe gebrochen wird und die draussen tobende Gewalt in unser Bewusstsein gerückt wird. Bei einem Bombeneinschlag zuckte ich regelrecht zusammen und bekam Gänsehaut, so dicht ist die Atmosphäre teilweise.
Revolution
Angela ist nicht nur die liebe Hausfrau von nebenan, in ihr brennt die Revolution und sie verabscheut das Regime. Ortéga ist zwar auch ein Revoluzzer, aber seine Herangehensweise ist im Gegensatz zu Angelas auf Diplomatie und Frieden angelegt. Wie ihr mit dieser Ausgangslage umgeht, könnt ihr in einigen Situationen selber entscheiden und damit den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Diese wird hauptsächlich durch Angelas innere Monologe zu Beginn eines Tages erzählt, wobei die Taten in der Wohnung keinen Einfluss auf darauf zu haben scheinen und manchmal mit der Stimmung nicht einher gehen.
Um mehr über die Geschichte zu erfahren, können wir uns jeweils auf einen weissen Sessel setzen und Angela fängt an Tagebuch zu schreiben. Dies frisst aber sehr viel von unserer verfügbaren Zeit im Appartement auf und die Einträge können nicht immer vollständig durchgeführt werden. Diese Herangehensweise finde ich leicht enttäuschend. Es wäre mir lieber gewesen, wenn die Geschichte vermehrt durch die Gegenstände, analog Gone Home, erzählt werden würde. Die Texte sind dabei aber hervorragend geschrieben und haben stets eine poetische Ader.
Fazit
Sunset ist kein perfektes Spiel, aber trotz seinen kleinen Ecken und Kanten mehr als gelungen. Die erzeugte Stimmung ist grandios, bewegte mich sogar das Spiel in einem Rutsch durchzuspielen und die Geschichte regt zum Nachdenken an. Nach meinem Empfinden erlangte ich das bestmögliche Ende, aber in mir brennt das Verlangen nochmals in die Welt von Sunset einzutauchen und mehr über sie zu erfahren. Es ist bisher das zugänglichste und zeitgleich ausgereifteste Spiel von Tale of Tales, wobei man sich von dem eher öden Mittelteil nicht täuschen lassen darf und es unbedingt zu Ende spielen sollte.
Sunset ist seit heute auf Steam erhältlich.
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