Night In The Woods im Test
Nach über drei Jahren seit der erfolgreichen Kickstarter Kampagne und vielen Verschiebungen, ist Night In The Woods des Studios Infinite Fall endlich erschienen. Zumindest auf PC und in den meisten Ländern auch auf der Playstation 4. Europa muss sich in dieser Hinsicht noch bis am 28. Februar gedulden.
Falls noch nicht gespielt, bieten die zwei komplementären Spiele Lost Constellation und Longest Night den idealen Einstieg in das Universum von Night In The Woods. Diese sind gratis erhältlich und helfen dabei, die Wartezeit auf den europäischen Playstation 4 Release zu verkürzen.
Zurück nach Hause
Night In The Woods portraitiert die Perspektivenlosigkeit junger Erwachsener in der fiktiven Kleinstadt Possumm Springs und stellt gleichzeitig eine Charakterstudie einer gescheiterten Existenz dar, welche den Sprung in die grosse weite Welt nicht geschafft hat. Erzählt wird diese Geschichte aus der Sicht von Mae, einer 20-Jährigen, die soeben ihr Studium abgebrochen hat.
Verloren stehen wir nachts an einer verlassenen Bushaltestelle. Am Schalter befindet sich niemand und ausser einem Handwerker, der gerade eine Tür repariert, ist weit und breit niemand zu sehen. Selbst die Eltern, welche Mae eigentlich hätten abholen sollen, sind nicht präsent. Kurzerhand beschliesst sie den Weg zurück nach Possumm Springs, ihrer Heimatstadt, zu Fuss zu gehen und begibt sich auf den Weg durch den Wald. Nach einem kurzen Zwischenfall wird sie glücklicherweise von der örtlichen Polizei aufgefasst und heil nach Hause zu ihren Eltern gebracht.
Nach dieser kleinen Introsequenz fängt das eigentliche Spiel an. Ein paar Jahre sind seit dem letzten Besuch der Heimat vergangen. Mae verbringt die folgenden Tage damit, alte Freundschaften und Beziehungen wieder aufleben zu lassen, während sie gleichzeitig mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit kämpft.
Ein Umfangmonster
Nehmen wir das Offensichtliche gleich vorweg: Der Artstil ist bezaubernd und zieht einen magisch an. Doch steckt das Spiel auch voller Liebe zum Detail. Possum Springs fühlt sich lebendig an: Blätter flattern im Wind, Autos fahren vorbei, allerlei Passanten befinden sich auf den Gehwegen und auch die Fauna zeigt sich präsent. Zudem gibt es allerlei alternative Inhalte, Minispiele, Eastereggs und selbst ein ausgearbeitetes mini-Roguelite mit zehn Leveln lässt sich finden.
Da das Spiel vorwiegend auf Exploration ausgelegt ist, kann die Spielzeit dadurch stark variieren. Wer ein dreistündiges Abenteuer erwartet, wird positiv überrascht sein, denn unser erster Durchgang dauerte rund zehn Stunden. Dabei haben wir nicht mal jedes kleine Detail entdeckt oder immer sämtliche Areale erkundet. Da die Welt offen gehalten ist und wir allerlei Entscheidungsmöglichkeiten haben, ist es auch gar nicht möglich, alle Inhalte in einem Durchgang zu erfahren.
So gut die Charaktere und die Stadt auch ausgearbeitet sind, kleinere Probleme gibt es bei der Geschwindigkeit der Erzählung. Während zu Beginn eine übergreifende Geschichte angedeutet wird, kommt diese erst im dritten der insgesamt vier Akte wieder zum Vorschein und ist bis dahin fast komplett abwesend zu Gunsten der Charakterentwicklung. So weit kein Problem, denn Ende des zweiten Aktes machte sich langsam eine Langeweile ab des repetitiven Ablaufes dar.
Schluckauf im Ablauf
Der allgemeine Gameplay Loop sieht wie folgt aus: Wir wachen morgens auf, checken den Computer auf neue Nachrichten und begeben uns anschliessend in die Stadt, um mit den Freunden zu plaudern, bis wir nach einem speziellen Event wieder zu Hause sind, schlafen gehen und uns einer kryptischen Traumsequenz stellen. Innerhalb des zweiten Aktes gibt es in diesem Loop nur wenig Abwechslung. Es fehlt ein anstrebbares Ziel, weswegen sich die angesprochene Langweiligkeit breit macht.
Auch gibt es stellenweise die bekannte Krankheit von Adventures, dass Aktion B erst ausgeführt werden kann, nachdem Aktion A ausgeführt wurde, obwohl kein triftiger Grund dafür ersichtlich ist. Selbst die immer ausufernden Träume sind eher nervend, als spannend. Diese stellen Plattforming-Sequenzen in immer grösser werdenden Arealen dar, welche im typischen Schneckentempo erkundet werden und durch das Finden von jeweils vier Kapellen beendet werden.
Das war’s?!
Nachdem diese übergreifende Geschichte nun über drei Akte, also rund sechs bis acht Stunden, langsam aufgebaut wurde, wird der Regler im vierten Akt plötzlich auf elf gestellt. Hier wird der, jedem Autor eingebläute, Terminus „Zeigen, nicht erzählen“ völlig vergessen und der Fortschritt unserer Charaktere wird wird in kurzen Expositionen dargestellt. Diese gipfeln in einem 20-minütigen Dialog, in dem uns der Bösewicht der Geschichte alles erklärt.
Danach folgt sogleich der Epilog und eines der schlechtesten Enden, dass wir seit langem in einem storylastigen Spiel gesehen habe. Stell dir vor du liest ein Buch, der Höhepunkt wurde soeben überschritten, die vergangenen Ereignisse werden gerade verarbeitet und plötzlich reisst dir mittendrin jemand das Buch aus der Hand und zerfetzt es in klitzekleine Schnipsel. Genau so hat sich das Ende angefühlt. Völlig unbefriedigend erscheint aus heiterem Himmel der Abspann.
Insgesamt wirkte der vierte Akt, im Vergleich zum Rest, stark gehetzt. Die unbeantworteten Fragen stellen hier nicht das Problem dar, sondern dass wir uns in den vielen vorherigen Stunden mit den Charakteren angefreundet haben, mit ihnen allerlei erlebt haben, aber uns kein vernünftiger Abschluss, respektive Abschied von ihnen, gegönnt wird. Eine kurze Recherche ergab auch, dass bisher kein alternatives Ende gefunden wurde, trotz der vielen Entscheidungsfreiheiten im Verlaufe der Geschichte.
Die stärksten Momente von Night In The Woods spielen sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen ab, welche durch authentische Gespräche geformt werden. Eine Rahmenhandlung für das Spiel war zwar gewissermassen notwendig, doch konnten wir uns nicht ganz mit dieser anfreunden.
Wer es bis anhin noch nicht geahnt hat, Night In The Woods ist am ehesten mit dem hervorragenden Oxenfree vergleichbar. Wie auch dort bietet die übergreifende Geschichte übernatürliche Elemente. Diese kommen zwar hier bei weitem nicht im selben Ausmass vor und treten erst im letzten Drittel auf, doch passen sie durch ihre gehobene Symbolik nicht zu den geerdeten ersten Akten.
Fazit
Bei all der Kritik, dies ist meckern auf ganz hohem Niveau, welches hauptsächlich daher rührt, dass Storytelling in Videospielen noch immer anderen Medien hinterher hinkt. Night In The Woods ist ein sehr schönes Erlebnis, mit zwei, drei kleinen Ecken und Kanten, doch insgesamt überwiegen die positiven Eigenschaften. Die melancholische Stimmung, die emotional komplexen Charaktere, malerische Landschaften, unglaublich viel qualitativ hochwertiger Inhalt und nicht zuletzt der fantastische Soundtrack, der hier zu Unrecht vernachlässigt wurde – Night In The Woods muss sich vor anderen storylastigen Spielen nicht verstecken. Es zählt zum besten, was der Markt in diesem Belange heute zu bieten hat und wird sich ohne Frage auf einigen „Best of 2017“-Listen am Ende des Jahres wiederfinden.
Das Team von Infinite Fall wird die nächsten Wochen noch damit beschäftigt sein, viele kleinere Bugs zu beseitigen, doch danach werden sie ihre Energie hoffentlich in zusätzliche Abenteuer in Possumm Springs stecken, denn so schnell wird uns diese Welt nicht mehr loslassen. Ausserdem steht der Feiertag Longest Night kurz bevor, dessen Vorbereitungen laut Spiel bereits im Gange sind.
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